Auferstehung – eine muslimische Perspektive

Auferstehung Islam kirchenPÄDAGOGIK 2021

„Die Menschen schlafen, und wenn sie sterben, erwachen sie“ (Ali bin abi Talib)

Das irdische Leben ist nach islamischer Perspektive eine Brücke zur Zeit- und Raumlosigkeit, es ist ein Übergang zur Ewigkeit und eine Rückkehr zum Ursprung: „Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurück“ (Koran Sure 2:156).

Dieser Satz ist trostspendend und wird gesprochen, wenn jemand stirbt, sobald die Nachricht vom Tod bekannt wird. Leben und Sterben gehören zu den Bestimmungen Gottes für die Schöpfung und der Tod ist ein Neubeginn. Der Koran erinnert mit den wahrnehmbaren Ereignissen an diese Ordnung, die für die gesamte Schöpfung gilt: „Gott lässt hervorgehen das Lebendige aus dem Toten, und Er lässt hervorgehen das Tote aus dem Lebendigen. Und Er belebt die Erde nach ihrem Tod, und so werdet ihr hervorgebracht.“ (Koran Sure 30:19) Alles, was existiert, unterliegt den Gesetzmäßigkeiten Gottes und ist vergänglich.
Durch den Tod erfährt die Materie, der Körper eine Umwandlung, das eigentliche „Ich“ ist jedoch die Seele, die weiterlebt. Die Seele gelangt nach dem Absterben des Körpers in die Sphären, die im irdischen Leben unbegreiflich sind.

Der Koran vermittelt über Metaphern und in symbolischer Sprache das, was nach dem irdischen Leben geschieht. Den Zeitpunkt des Todes und den Moment, da das diesseitige Leben endet, wird als „Stunde“ genannt (arabisch sa´a), ein kurzer, unerwarteter Moment, den jedes Individuum im Zeitpunkt seines Todes erfährt. Um vorbereitet zu sein wird dies in Erinnerung gerufen: "Lebe so, als ob Du ewig lebst und lebe so, als ob Du in der nächsten Sekunde stirbst". Die Spannung zwischen der Liebe zum Leben und dem Streben, sich davon nicht abhängig zu machen, vermittelt zugleich, dass diese Welt nicht wertlos, wohl aber vergänglich ist.

Jedes Lebewesen hat eine gewisse Zeit sein Dasein zu gestalten und seine Handlungen hinterlassen Spuren, die über Zeit und Raum hinaus bestehen bleiben. Die Erschaffung des Menschen zielt darauf, Gott zu dienen (Koran Sure 51:56) und der Dienst an Gott besteht darin, sich für Gerechtigkeit und das Gute einzusetzen. In diesem Sinne ist Sure 99:6-8 zu verstehen: „An jenem Tag [dem Tag der Auferstehung] kommen die Menschen einzeln hervor, um zu sehen ihre Werke. Wenn einer einem Stäubchen gleich an Gutem getan – der wird es sehen. Und wenn einer einem Stäubchen gleich an Bösem getan – der wird es sehen.“

Gedanken, Handlungen und Haltungen, wie gering und unbedeutend sie auch erscheinen, bleiben nicht ohne Wirkung. Dieses Prinzip nimmt im Islam eine zentrale Stellung ein: Glauben und Handeln sind unmittelbar miteinander verbunden. Das diesseitige Leben gilt als „Prüfung“: Der Mensch verfügt über Fähigkeiten, die ihm von Gott geschenkt sind. Er hat die Freiheit zu entscheiden, wie er sie entfalten und nutzen will. Für die Folgen seiner Taten ist er allein verantwortlich, für das, was er aus freiem Willen tut. Dafür wird er spätestens am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen. Er wird vor dem Gericht Gottes seinen Taten gegenüberstehen, die in einem „Buch“ aufgeschrieben sind. Die Metapher „niedergeschrieben in einem Buch“ drückt die Beständigkeit der Handlungen aus, die entweder Gutes oder Schlechtes bewirken.

Der arabische Begriff für Tod ist maut, was auch „vollkommen, vollständig, Halten des Versprechens und erfüllen“ bedeutet. Der Tod ist eine weitere Station auf dem Weg zur Vollkommenheit, und Gott verspricht, dass der Mensch diese Station erlangen wird. Stirbt der Mensch kann er sich all seine Taten ins Bewusstsein rufen und seine Fehler und Versäumnisse erkennen. Der Koran beschreibt diesen Zustand und stellt dies bildhaft in einem Gespräch zwischen Mensch und Engel dari. Sieht die Seele ihre Versäumnisse, bittet sie um Rückkehr ins irdische Leben, um die Fehler zu korrigieren. Sie erhält aber zur Antwort, dass es nach dem Tod keine Gelegenheit mehr dafür gibt. Im irdischen Leben erhält der Mensch mehrfach Zeichen, die ihm die Gelegenheit zur Umkehr signalisieren. Verschließt er seine Augen, Ohren und sein Herz und nimmt diese Zeichen nicht an , kann er nach dem Tod Reue zeigen und keine weitere Chance erwarten. (Koran Sure 23:99-108)

Auferstehung und Tag des Gerichts unterliegen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Gott übt aus seiner Barmherzigkeit heraus Gerechtigkeit: „Er hat Sich zur Barmherzigkeit verpflichtet; damit Er euch zu dem Tag der Auferstehung versammelt, an dem kein Zweifel ist“ (Koran Sure 6:12).

Der Tag der Auferstehung ist der Tag des Gerichts, dann nämlich, wenn die Welt in ihrer gegenwärtigen Form eine Umwälzung erfährt. Apokalyptische Vorstellungen vermitteln eine unvorstellbare Umwandlung der Schöpfung, die eindrucksvoll in Verbindung mit Naturereignissen gebracht wird: Die wärmende und lebenspendende Sonne wird zu Dunkelheit und auch die Sterne verlieren ihren Glanz und geben kein nächtliches Licht mehr wider. Die Berge als Säulen und Befestigung der Erde, werden erschüttert. Die Erde verliert ihren Halt und gerät aus ihrer (Koran Sure 81:1-14).

Der Mensch, der nun vor Gericht Gottes steht, hat keine Möglichkeit, seine Taten und Absichten zu verbergen, denn „die mit den guten und schlechten Taten der Menschen beschriebenen Blätter werden offengelegt“, die Glieder des Körpers, die Erde und die Schöpfung werden alle an diesem Tag als Zeugen aussagen. Sie werden berichten, was der Mensch mit ihnen getan hat. (Koran, 41:20) [s. o. schon erwähnt, könnte entfallen] Die stark ermahnenden Bilder von Auferstehung und Gericht Gottes schärfen den Blick für das Leben und die Verantwortung des Menschen. Die plastischen Bilder von Verheißung wie Bedrohung stoßen zum Nachdenken und Handeln an.

Paradies und Hölle: Befindlichkeitszustand

Das Paradies ist die Ruhestätte der Menschen, die ihr irdisches Leben bewusst lebten und Gutes taten. Das Bild vom Paradies wird geprägt von Gärten, reinem Wasser und Früchten aller Art. Wird von höchster Glückseligkeit berichtet, so ist diese Ausdruck davon, wie Gott mit den Menschen und der Mensch mit Gott zufrieden ist: Diese Beziehung zwischen Gott und Mensch resultiert aus einem Leben, das im Bewusstsein der Gegenwart Gottes geführt wurde. Der Mensch erweist seinen Dienst an Gott in Verantwortung für das eigene Leben, die Mitmenschen und Mitgeschöpfe sowie die gesamte Schöpfung.

Der höllische Zustand wird mit Hitze und Feuer beschrieben. In diesem Zustand werden sich die Menschen befinden, die jede Einsicht zurückweisen, vor allem die Einsicht in die Notwendigkeit ethischer Maßstäbe und menschlicher Verantwortung; dazu gehören auch diejenigen, die getrieben von einer egozentrischen Haltung, nur ihren eigenen Interessen verfolgen. Sie schaden anderen und missbrauchen ihre Fähigkeiten in grober Verantwortungslosigkeit, um selbst Macht und Nutzen zu erlangen und andere und die Schöpfung auszubeuten. Der höllische Zustand ist Folge dieser bewussten, die Schöpfung verachtenden Lebensweise.

Khayyam, der persische Astronom, Mathematiker, Philosoph und Dichter aus dem 12. Jh. bringt die Auferstehung in einem Vierzeiler folgendermaßen zum Ausdruck:

Am Tag, an dem dein Werk steht vor Gericht,
Fällt nur dein Wert der Weisheit ins Gewicht,
Tu gutes Werk, denn du wirst auferstehn,
In einer Form, die deinem Werk entspricht.

Die Auferstehung ist nach der islamischen Auffassung das individuelle Erwachen, das zum einen den unverschleierten Blick in das irdische Leben ermöglicht, und zum anderen erkennt der Mensch seinen hervorgebrachten Zustand, in dem er weiterleben wird. Wie dies alles aussehen wird, bleibt ein Mysterium, das jeder Mensch erfährt, wenn er in diese Dimension eintritt.

Hamideh Mohagheghi, Religionswissenschaftlerin

 


i Vgl. heilig-land-wein.de/wordpress/wp-content/uploads/2020/05/PDF-Engel-im-Islamgesch%
c3%bctzt.pdf; sowie: islam-kompakt.de/das-auge-hat-einen-schutzengel-engelwelten-im-islam-
2/.