Abwertende Judenbilder
Antijüdische Bilder existieren in nahezu jedem Kirchenraum. Die wohl bekanntesten sind Schweinedarstellungen in Verbindung mit Juden, Ecclesia-und- Synagoga-Plastiken sowie Karikaturen von Juden mit Haken- oder Knollennasen oder mit Judenhüten. Antijüdische Polemik sieht man besonders auf Passionsbildern. Dort wird Juden eine (Mit-) Schuld am Tod Jesu zugewiesen oder Judas als jüdischer Verräter betrachtet und zum Beispiel mit gelbem Neidgewand, roten Haaren und hässlicher Physiognomie entsprechend äußerlich gekennzeichnet. Viele spätmittelalterliche Bilder stehen in der Tradition der Legenda Aurea von Jacobus de Voragine (1228–1298). Die Legenden sind oftmals antijüdisch grundiert.
Antijüdische Polemik
Seit den Kreuzzügen (ab 1096) wurden Juden zunehmend in gehässiger Weise dargestellt. Die Bilder dienten der Selbstidentifikation des Christentums durch polemische Abgrenzung vom Judentum und Selbstüberhöhung der Kirche durch die Substitution des Judentums. Dies geschah auch dadurch, dass man Jesu eigenes Jude-Sein ausklammerte und ihn allmählich in ein Gegenüber zu jüdischen Personen rückte. Auch bei anderen neutestamentlichen Gestalten verhält es sich so, nämlich bei Maria, den Jüngern, Paulus u.a. Dabei zeigen schon ihre Namen die jüdische Herkunft des Christentums. Hebräische Schriftzeichen auf Bildern lassen oft erkennen, ob und wie sich der Maler um eine korrekte Darstellung hebräischer Schriftzeichen bemühte (wie z.B. Rembrandt Harmenszoon van Rijn, 1606–1669) oder ob er
hebraisierende Zeichen nur dazu verwendete, um jemanden als jüdisch zu markieren.
Ecclesia-Synagoga-Darstellungen
In der christlichen Kunst taucht das Ecclesia-Synagoga-Motiv bereits seit etwa 850 n.Chr. auf. Der vielfältigen Entwicklung des Bildtypus kann hier nicht nachgegangen werden. Zu sehen sind zwei allegorische Frauenfiguren, z.B. am Straßburger Münster oder am Südportal des Wormser Doms. Die Ecclesia steht für das Christentum. Sie ist schön und stolz. Mit Krone, Kreuz und Siegesfahne macht sie ihren Herrschaftsanspruch deutlich. Sie hält einen Messkelch in der Hand. Die Synagoga symbolisiert das Judentum. Ihr sind die Augen verbunden, weil sie blind für die Wahrheiten der Kirche sei. Die Krone ist ihr vom Haupt gerutscht, die Fahne oder Lanze zerbrochen, die Bundestafeln oder die Torahrolle sind ihr aus der Hand geglitten, ihr Blick ist von der Ecclesia abgewandt. Sie zeigt Schwäche. Das Bild symbolisiert den Triumph des Christentums über das Judentum und zeugt von einer dichotomischen Einteilung der Welt in richtig und falsch, göttlich und teuflisch, „wir“ und „die anderen“. In dieser Weise wurde das Ecclesia-Synagoga-Motiv bis in die jüngste Vergangenheit an und in Kirchen angebracht.1
Zu dem Ecclesia-Synagoga-Motiv gibt es neue künstlerische Darstellungen, die die alten Judenbilder kontrastieren und ablösen könnten, so z.B. das Figurenpaar „Twins“ (2017) von Johan Tahon in Hannover.2 Eine gelungene Bronzeplastik stammt von Joshua Koffman (2015) auf dem Campus der Saint Joseph University, Philadelphia, USA.3
„Judensau“-Bilder
Besonders krasse Hassbilder sind die sogenannten „Judensau“-Bilder. Man kennt etwa vierzig solcher Darstellungen an oder in Kirchen vor allem im deutschsprachigen Raum. Die wohl älteste Plastik dieser Art ist ein Säulenkapitell an der St.-Peter-und-Pauls-Kirche in Brandenburg an der Havel (ca. 1230). Das Schmähbild kommt aus der Tierpolemik und erreicht auch Analphabeten, weil es völlig ohne erklärenden Begleittext auskommt.
Die Skulptur wirft Juden in abwertender Weise Unreinheit, Völlerei und Lüsternheit vor und das, obwohl Fleisch und Milch von Schweinen im Judentum als rituell unrein und ungenießbar gelten und auch Jesus sicherlich nie Schweinefleisch gegessen hätte (Mk 5,1–16). Das Bild soll Juden dehumanisieren und die jüdische Religion verletzen und dem Spott ausliefern. Außerdem wird in der Bildsymbolik das Schwein mit dem Teufel in Verbindung gebracht, Juden also im Einflussbereich des Teuflischen betrachtet. Gleichzeitig dient es der Abgrenzung gegen Juden und der Bestätigung christlicher Vorurteile gegen sie.
Wie damit umgehen?
Wie kann man mit einem solchen Machwerk kirchenpädagogisch adäquat umgehen?
Nach einer dialogischen Bildbeschreibung und der Information über Entstehung, Kontext und Zielrichtung sollten die Kirchenführerin oder der Kirchenführer sich persönlich von dem Bildwerk distanzieren.
Warum dürfen wir nicht auf solch entehrende Weise miteinander umgehen?
Die Teilnehmenden könnten diskutieren, was man mit einer solchen Skulptur machen könnte:
• Die Skulptur zerstören: Dies wurde zwar vorgeschlagen, ist aber keine Option des aufgeklärten Umgangs mit unbequemen Bildwerken.
• Die Skulptur dem Verfall preisgeben: Wind und Wetter zernagen das Gebilde.
• Die Skulptur entfernen und in ein Museum oder ein Depot bringen, um sich dort auf geeignete Weise mit christlicher Bildpolemik auseinanderzusetzen. Der Schwachpunkt dieses Vorgehens ist, dass das Bild in eine Art Giftschrank verbannt wird und sich der öffentlichen Auseinandersetzung entzieht. Das Museum als Heimat für eine Schmähskulptur muss aber nicht von Nachteil sein: Viele andere kirchliche Bilder hängen nicht mehr „in situ“– d.h. im ursprünglichen situativen Kontext. Es gibt m.E. keinen überzeugenden Grund, ein antijüdisches Schandbild unkommentiert am Ort zu belassen.
• Erklären durch informierende und distanzierende Texttafeln bei oder neben dem Bildwerk: Die zweisprachigen Erklärtafeln (mit weiterführendem QR-Code) am Regensburger Dom sind sorgsam überlegt und mit Fachleuten, Bistum, Freistaat Bayern und Jüdischer Gemeinde abgestimmt. Allerdings ist man sehr vorsichtig damit, die kirchliche Mitschuld an der Verbreitung des Judenhasses zu benennen. Ein Nachteil ist auch, dass solche Erklärtexte oft nicht gelesen werden (können). Das Schmähbild frisst sich mit seiner ihm innewohnenden Gewalt in das kollektive Bildgedächtnis. Diese Tiefe erreicht man mittels eines schütteren Info-Textes wie in Regensburg nicht. Am Schluss heißt es auf der Erklärtafel dort: „Heute soll diese Skulptur alle Menschen mahnen, gegen jede Form von Propaganda, Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus vorzugehen.“ – Mahnen? Dass sich ein antijüdisches Schmähbild so einfach zu einem „Mahnmal“ umdefinieren lässt, überzeugt nicht. Es ist auch nicht erkennbar, wie diese Behauptung eingelöst wird.
• Künstlerisches Provozieren: Ein künstlerisch bildgewaltiger Umgang könnte sich auf überzeugende Weise mit dem Schmähbild auseinandersetzen, so dass sich auch nachhaltig etwas in den Köpfen der Betrachterinnen und Betrachter verändert. In Wittenberg ist das Schicksal des Schandbildes noch offen. Das 1988 davor auf dem Pflaster errichtete Kunstwerk wird als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Der Kirchengemeinderat entwickelt das Mahnmal weiter. Der Fall beschäftigt die Gerichte.4
Die Aktionskünstler Wolfram Kastner und Günter Wangerin pinselten an mehreren Orten direkt vor einem solchen Schmähbild das Wort „Judensau“ mit wasserlöslicher weißer Farbe auf das Pflaster und handelten sich Ärger mit Staatsgewalt und Kirche ein. Eine solche Aktion könnte aber auch gründlich missverstanden werden, weil die Schmähplastik erst recht in den Vordergrund gestellt wird.
Noch andere Möglichkeiten des künstlerischen Umgangs wären denkbar: das Bild verhüllen und es nur in einer auf Diskurs angelegten Stadtführung zeigen.
An der Nikolaikirchenruine in Zerbst steht unter dem dortigen Schweine-Schandbild seit Ende Mai 2023 eine als Lesepult gestaltete Stele mit dem Titel „Reflexion“. Das Werk des Künstlers Hans-Joachim Prager wurde unter zehn Wettbewerbsbeiträgen ausgewählt. An der Vorderseite der Stele ist der erste Artikel des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ zu lesen. Auf den anderen Seiten stehen die Namen der Zerbster Juden, die während des Nationalsozialismus umgebracht wurden. Außerdem der Satz aus der Genesis: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde.“ Das Denkmal soll der judenfeindlichen Hassbotschaft der mittelalterlichen Plastik eine Botschaft der Toleranz entgegensetzen.
• Das Schmähbild pervertieren: Mein eigener Vorschlag wäre: Das Schmähbild wird herausgenommen, auf den Kopf gestellt und dann wieder eingebaut. Wer künftig die Skulptur sehen will, muss sich die Mühe machen, den Kopf zu wenden. Dazu sollte ein erklärender Hinweis nicht fehlen. Ist antijüdische Polemik das Hauptthema der Führung, kann man ein Foto mit der Schweinekarikatur mitbringen, um 180° drehen und das Bild so beschreiben lassen. Die ersten Antworten lauten: „Das Bild ist verkehrt herum!“ Und schon ist man mitten in der Diskussion.
• Bei einer Kirchenführung könnte man nach einem geeigneten neuen Namen für das Bildwerk suchen. In der fachwissenschaftlichen Literatur wird es in scheinbar sachlich-neutraler Weise „Judensau“ genannt, doch damit wird die Hetze wiederholt, ohne es eigentlich zu wollen. Warum nennt man das Schweinebild nicht „Kirchensau“ (wenn es an der Kirche hängt), „Luthersau“ (Wittenberg: Das Bild wurde ca. 200 Jahre nach Luthers Tod mit einem Zitat aus einer seiner judenfeindlichen Schriften ergänzt) oder gar „Christensau“? So fällt die absichtliche Beleidigung in provokativer Weise auf die Betrachtenden zurück und erzeugt die nötige Distanzierung. Das Wort „Judensau“ ist auch in der Gegenwart ein antisemitisches Schimpfwort!
Empfehlung
Allgemein ist zum Umgang mit antijüdischen Bildwerken zu sagen, dass die Kirchenführenden nicht neutraldistanziert bleiben sollten. Man hat sich im Lauf der Jahrhunderte an antijüdische Darstellungen gewöhnt, so dass sie als solche gar nicht mehr erkannt werden.
Der moderne Antisemitismus erhält durch den Rückgriff auf latent vorhandene antijüdische Bildtraditionen immer wieder neue Nahrung. Wir haben in Kirchen jedoch selten Bilder, die christlichjüdische Beziehungen in wertschätzender Weise weiterdenken und die alten Schmähbilder überformen und neue Denkweisen prägen könnten. Dass es kaum Dialog-Bilder gibt, ist eine echte Lücke. Kunstwettbewerbe wie in Zerbst wären angebracht, dies zu ändern. Andererseits hat man in christlichen Bildwerken einen wahren Schatz an Bildern, die auf gemeinsame biblische Traditionen von Juden und Christen verweisen. Zum Beispiel die Zehn-Gebots-Tafeln, Mose als Stütze der Kanzel, Jona und der Wal am Taufstein, David mit der Harfe, Prophetendarstellungen, die Evangelisten-Tiersymbole (Ez 10,14/Offb 4,6–9) u.v.a.
Allgemein würde ich zum Umgang mit antijüdischen Bildern im Kirchenraum empfehlen:
• Antijüdische Bildwerke erfordern ein distanzierendes Verhalten der Kirchenführenden. Den Bildern muss widersprochen werden, weil sich sonst antisemitische Auffassungen verfestigen und unverantwortlich weitergeführt werden.
• Bei der Darstellung ist auf die Wortwahl zu achten. Vermeiden Sie während Ihrer Kirchenführung Wörter, die das Judentum herabsetzen oder falsch darstellen. Beispiele für schwieriges Vokabular sind: Die „Judensau“ ist kein neutrales Wort, sondern eine Beleidigung. Man sollte es im mündlichen Sprachduktus einer Kirchenführung nicht verwenden, s. oben. Das Adjektiv „alttestamentarisch“ höre ich oft bei Führungen. Man sollte es nicht verwenden, weil es im Nationalsozialismus als Synonym für das negativ-jüdische und als Gegenbegriff für „deutsch“ und „arisch“ verwendet wurde. Besser geeignet ist das Wort
„alttestamentlich“ oder „torah-“, wenn die Fünf Bücher Mose gemeint sind.5 Der „Judenstern“ ist das von den Nazis verwendete Ausgrenzungszeichen für Juden. Die jüdische Selbstbezeichnung des sechszackigen Sterns ist „Davidsstern“ (hebr. magen David).
---------------------------------------------------------
Anmerkungen
1 Vgl. die Übersicht bei Wacker, 97–99.
2 http://imdialog.org/bp2020/04/eccneu.pdf. Multimediapräsentation: https://www.stories-e.de/twins#194 (aufgerufen am 19.6.2023).
3 http://www.imdialog.org/bp2017/05/517_pieper.pdf (aufgerufen am 19.6.2023).
4 Die Diskussion lässt sich nachverfolgen auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Judensau#Wittenberg
5 Heine, Verbrannte Wörter, 27–29.